DIE ZEIT

21. Juni 2000, Nr. 26

Wir wollten Weltluft

Unzeitgemäße Anmerkungen über den CIA, den "Monat" und den "Kongress für die Freiheit der Kultur"/Von Klaus Harpprecht

 

ES ist grotesk. Im Siedler Verlag wird in diesen Tagen eine monströse Polemik (von gut 500 Seiten) über die Zeitschrift Der Monat präsentiert, die in nahezu jedem Paragrafen einer enthusiastischen Konfession des Verlagsgünders widerspricht. "Das war für uns", sagte Wolf Jobst Siedler mit dem Blick auf Melvin Laskys Monat, "wie ein Fenster zur Welt..." Es fügte hinzu: "Es war ein schönes Gefühl, in den Redaktionsräume in Berlin-Dahlem die ganze geistige Welt um sich versammelt zu sehen. Denis de Rougemont, Ernst Reuter, Willy Brandt kamen vorbei, aber auch Theodor Plivier; dieser allerdings unter Polizeischutz, weil er sich als Dissident wohl zu Recht vor einer Entführung in den Ostsektor fürchtete."

            Für die Generation, die den Namen Berlin wie ein Banner vor sich her trägt, mag es ein dunkles Gerücht aus grauer Vorzeit sein: Entführungen nach Osten gehörten zur bösen Üblichkeit jener Epoche. Die Verschleppten verschwanden in Bautzen oder in Sibirien; wenn sie Glück hatten, kehrten sie nach langen Jahren krank und ausgemergelt zurück. Wer -- wie der Autor dieser Zeilen -- während jener Jahre in Berlin lebte, für Institutionen wie den Rias (den Sender der "Kriegshetzer") arbeitete und beim Monat ein und aus ging, sah sich sorgsam um, wenn er spät in der Nacht seiner Wohnung zustrebte. (Übrigens hörte man niemals von einer Entführung aus dem sowjetischen Besatzungsbereich nach Westen, wohl aber von Hunderttausenden, ja, Millionen Flüchtingen, die dem Osten den Rücken kehrten.)

            Es war Kalter Krieg. Er wurde vor allem von Osten nach West geführt: Die Blockade, mit der Stalin West-Berlin auszuhungern und totzufrieren versuchte, war der barbarische Auftakt. Siedler kann ein Lied davon singen. Der alte Verlagschef -- der sich aus der unmittelbaren Verantwortung des Hauses zurückzog -- wird sich freuen (und so sein Gefährte Melvin Lasky): Seine neue Autorin Frances Stonor Saunders, eine britische Fernsehproduzentin, denunziert den Monat samt allen Unternehmungen und Publikationen des "Kongresses für die Freiheit der Kultur" pauschal als Tarnoperation der CIA.

            Es war schon so: Das Geld stammte, wie 1966 von der New York Times festgestellt wurde, partiell vom amerikanischen Geheimdienst (aber auch von anderen Institutionen wie der Ford Foundation). An der Qualität des Monat oder seiner Schwesterzeitschriften Preuves (in Paris) oder Encounter (in London) änderte dies nicht das Geringste. An der Wachsamkeit gegen jede totalitäre Gefahr, nicht nur die sowjetische, sondern auch die rechte: das Franco-Regime oder die Kampagnen des McCarthyismus.

 

Auch Günter Grass publizierte im "Monat"

Ms. Saunders nahm dies nicht zur Kenntnis. Sie ließ sich ihre Urteile und Vorurteile durch Lektüre oder Fakten nicht verwirren. Mit anderen Worten: Die Enthüllungsvirtuosin hat, wie sich aus ihrem Buch ergibt, wohl keine Ausgabe des Monat oder der Preuves jemals gelesen. Die Zeitschriften aber öffneten uns, den jungen Zeitgenossen, die 1945 in die Freiheit entlassen wurden, in der Tat die Fenster zur Welt. Wir wussten wenig, aber eines wussten wir genau: Wir wollten nie mehr unter die Knute einer Diktatur, ob braun oder rot, gezwungen werden. Wir wollten die Freiheit des Wortes, der Kunst, der Gedanken. Wir wollten der deutschen Isolierung und Selbstisolierung entkommen. Wir wollten Weltluft.

            In den Berliner Heften, die Melvin Lasky, der amerikanische Journalist, 1948 mit dem Segen (und den Zuschüssen) der amerikanischen Militärregierung unter General Lucius D. Clay mit tollkühnem Optimismus gegründet hatte, begegneten wir staunend den Debatten, den Kritiken, den Reportagen, den Essays von Albert Camus und Isaiah Berlin, von Raymond Aron und Hannah Arendt, von Friedrich Torberg und Sidney Hook, von Ignazio Silone und John LeCarré, von Benedetto Croce und Herbert Lüthy, von Mary McCrathy und Christopher Isherwood, von Denis de Rougemont und Richard Löwenthal, von Arthur Koestler und George Orwell, von Golo Mann, Walter Laqueur und Fritz René Allemann.

            Wir begegneten auch der Feder von Günter Grass, dessen Blechtrommel im Monat ans Licht der Öffentlichkeit trat -- was der Dichter zu erwähnen vergaß, als er 1996 in dem quälenden Disput über die Vereinigung von West-PEN und Ost-PEN eine Linie von der organisation Gehlen über die CIA zum Monat auszog. In Wahrheit publizierte er noch im Frühjahr 1969, als die Geheimdiesnt-Subsidien längst offenbart (und beendet) waren, im Monat einen Appell zur Vernunft an die rebellierende Studentenschaft -- unter dem nur zu wahren Titel Die angelesene Revolution.

            Damals schien Grass sich noch zu erinnern, dass es in den ersten Nachkriegsjahrzehnten eine Frage auf Leben und Tod des Geistes und der Freiheit war, die antitotalitäre und liberale Linke in einer Front des Widerstandes zu sammeln. Er hätte sich später darüber informieren können, dass kein Kulturprogramm des State Department jemals die Chance gehabt hätte, die Zustimmung des knauserigen und oft so weltfernen Abgeordnetenhauses oder des Senats in Washington zu finden. Josef Joffe zitierte in der New York Times Book Review George Kennan, der hernach zum klassischen Anwalt der Entspannung wurde: "Dieses Land (die Vereinigten Staaten) hat kein Kulturministerium; so war die CIA verpflichtet, alles zu tun, was ihr möglich war, um diesen Mangel auszugleichen. Sie sollte dafür gepriesen werden."

            Jene Agentur, die sich anderswo in der Welt die absurdesten Torheiten leistete, hat ihr Geld niemals für einen besseren Zweck ausgegeben, zumal sie -- auch Ms. Saunders beweist nicht as Gegenteil -- niemals die geringste Pression auf die Redaktionen oder gar die Autoren der Zeitschriften auszuüben versuchte. Dazu war ihr Bevollmächtigter Michael Josselson viel zu klug: ein gebildeter, toleranter Weltbürger, der auf die Vitalität der Diskussion in den Zeitschriften und in den Zirkeln ihrer Freunde stolz war.

            Für einen jungen deutschen Autor war es, kein Zweifel, eine Art Ritterschlag, wenn er sich zum ersten Mal im Monatgedruckt sah. Auch die englische Leserschaft wurde nach 1945 niemals mit einer anregenderen und aufregenderen, stilistisch und thematisch ähnlich glanzvollen literarisch-politischen Zeitschrift wie dem Encounterbeschenkt, den zwei amerikanische Chefredakteure -- Irving Kristol und nach ihm Melvin Lasky -- stärker zu prägen vermochten als ihr britischer Kollege Stephen Spender. François Bondys Preuves waren in Paris lange Jahre fast der einzige Leuchtturm antikommunistischer Nonkonformität -- als die stalinistische KPF mehr als ein Viertel der Wählerstimmen okkupierte und die intellektuelle Elite, trotz der "Säuberungsprozesse", trotz des Aufstandes vom 17. Juni, trotz der ungarischen Revolution, die Sowjetunion noch immer als die Hoffnung der Menschheit verteidigte.

            In Berlin wurde im Sommer 1950, dank der Iniative Arthur Koestlers und Melvin Laskys, der "Kongress für die Freiheit der Kultur" gegründet, doch die Organisation bezog Quartier in Paris, denn kein westliches Land, Italien nicht ausgenommen, war von den Versuchungen der geistigen und moralischen Kapitulation vor dem Kommunismus in gelicher Weise gefährdet. Das hat sich unterdessen gründlich geändert.

            Der Revisionismus der "neuen Linken" ist, wenn nicht vieles trügt, in Deutschland virulenter (ebenso, in der üblichen Entsprechung, der radikal Rechten). Es ist darum anzunehmen, dass die Polemik von Ms. Saunders hierzulande mit prasselndem Beifall aufgenommen wird. Vielleicht korrigiert der Siedler Verlag die Passagen über Lasky, die im englischen Original des Buches (Who Paid the Piper bei Granta) von antisemitischen Stereotypen (der britischen Art) nicht frei sind. Und es wäre zu wunschen, dass es den deutschen Lektoren gelang, der Autorin wenigstens die offensichtlichsten Schlampereien und die idiotischsten Fantasmen auszureden.

            Eine kleine Blütenlese: Zum Beispiel behauptet sie in einer Nebenbemerkung, dass die Koestlers den Kosennamen "Castor" für Simone de Beauvoir erfunden hätten. In Wirklichkeit unterzeichnete die Dame ihre Briefe an Sartre seit 1930 mit ebenjenem Hinweis auf ihre Zwillingsexistenz. Ernst Reuter wird als ein enger Mitarbeiter Lenins (in seinen russischen Jahren) vorgestellt. In Wahrheit blieb die Beziehung der beiden auf flüchtige Begegnungen beschränkt. Carlo Schmid wird kurzerhand zum parlamentarischen Führer der Sozialdemokraten ernannt (der er niemals war) und Richard Crossman, der streitbare Labour-Intellektuelle, zum Generalsekretär seiner Partei (ein Amt, das es nicht gab). Eugen Kogon verpasst Ms. Saunders die Charakterisierung des "jüdischen Soziologen", obschon er Publizist und Politologe, Verfasser des Schlüsselbuches Der SS-Staat und vor allem grundkatholisch war. Sie erfindet einen amerikanischen Außenminister Edward Barrett (den man in den Geschichtsbüchern vergebens sucht). Von Willy Brandt verrät sie uns durch ein obskures Zitat, er sei in Berlin von den Amerikanern finanziert worden, und in seiner engsten Umgebung habe sich ein KGB-Agent befunden. Den Namen nennt sie nicht. Womöglich verwechselt sie den geheimnisvollen Herrn mit Guillaume, der freilich erst in Bonn in die Nähe Brandts gelangte und überdies, wie man weiß, für die Stasi gearbeitet hat. Sie beruft sich auf Markus Wolf, um Shephard Stone -- einst die rechte Hand des Hohen Kommissars John J. Mcloy, Leiter der internationalen Abteilung der Ford Foundation, Präsident des Kongresses für die Freiheit der Kultur imd Gründer des Berliner Aspen-Institutes -- als case officer der CIA anzuschwärzen. Aber die verwandelt ja auch das Städtchen Dubuque in Iowa (mit seiner legendären "little old lady") in einen imaginären Ort, den sie "Deduke" buchstabiert -- und das Lasky zitierend.

            Moralische "Äquidistanz" von West und Ost ist -- im Blick zurück auf den Kalten Krieg -- eine der fatalen Konzessionen im deutsch-deutschen Gespräch allzu vieler Literaten und Politiker geworden. Ein hoher Preis der Wiedervereinigung: Er zeigt nichts anderes an als den Verzicht auf intellektuelle Redlichkeit und geschichtliche Wahrheit. Es wäre ein Segen, wenn die Berliner Tagung zur 50. Wiederkehr der Gründung des "Kongresses für die Frieheit der Kultur" jene notorischen Verlogenheiten beiseite räumte. Auch ist es an der Zeit, an das Manifest zu erinnern, das Arthur Koestler bei der Schlusskundgebung am Funkturm verlas. Die erste der 14 Thesen: "Wir halten es für eine Wahrheit aus sich selbst, dass die Freiheit des Geistes eines der unveräußerlichen Menschenrechte ist." Das versteht sich nicht von selbst. Bis heute nicht. Nirgendwo.

 

 

CCF & Der Monat